Ein Text-Portrait von Kim Margarete Hase
Es ist noch nicht allzu lange her, dass unter diesem blauen Haarschopf ein Gedanke
aufkeimte. Und er wuchs — über Alinas Scheitel hinaus — und windete sich die
Garnspulen entlang, in den Garten des teichgrünen Hinterhauses und die Äste der
peitschenden Weide empor.

So hätte das Kapitel beginnen können, wenn mir Alina Frey auf den Seiten eines Harry-
Potter-Romans begegnet wäre. Stattdessen lerne ich die Schneiderin mit den
indigoblauen Haaren an ihrem Gartentisch kennen.
Sie beginnt zu erzählen, und einen Augenblick lang verdutzt mich ihre weiche, fast
ängstliche Stimme im Kontrast zu ihrem so präsenten Blick. Doch während ich die
zierliche Frau mit den starken Schultern beobachte, verstehe ich, dass sie eben solche
Gegensätze so besonders machen.
„Ich war nie die lauteste in der Gruppe, aber ich hatte immer Spaß daran, zu zeigen, was
ich kann“, erzählt Alina. Und was sie kann, ist Nähen. Und Tanzen — hoch hinaus. Zwei
Fähigkeiten, die im April zu einer Geschäftsidee verwuchsen: maßgeschneiderte Pole-
Dance-Kostüme.
Im Frühjahr 2020 gründete die 30-jährige „Fierce AF Design“. Sie recherchierte, plante
und organisierte — das erste halbe Jahr noch neben der Familie und den letzten Monaten
ihrer Ausbildung zur Schifffahrtskauffrau: „Es war mir wichtig, dieses Kapitel
abzuschließen, aber ich wusste längst, dass das nicht meine Berufung ist. Mir fehlte das
Kreative.“
Die Kreativität, die zwischen Tabellenspalten und Zahlen keinen Platz fand, breitet sich
nun im Hinterhaus einer alten Villa bis in die letzte Ecke des kleinen Nähzimmers aus und
macht es zu einem wundersamen, wunderbaren Ort. Vor der schwarzen Hogwarts-
Silhouette, die Alina selbst an die Wand gemalt hat, fließen Stoffe in ausgefallenen Farben
und Mustern. Zwischen bunten Garnrollen und einem Regal voller Bücher — natürlich
auch der Harry-Potter-Romane — steht die Pole-Stange.
„Bevor ich meinen Kund*innen neue Schnitte anbiete, teste ich diese selbst so lange, bis
ich mit dem Design völlig zufrieden bin. Es geht bei Pole-Outfits nicht nur um Ästhetik
und vor allem — entgegen der Vorbehalte vieler Menschen — nicht um Nacktheit. Der
direkte Hautkontakt zur Stange gibt einem in der Bewegung den Halt und ist somit
notwendig“, erklärt Alina.
Sie selbst entdeckte „Pole“ erst 2015 für sich. Doch als erfahrene Turnerin gelang es ihr,
ihr Können und ihren Muskelaufbau schnell zu steigern.
Inzwischen lebt sie ihre Begeisterung für den Kraftsport nicht nur als Tänzerin, sondern
auch als Trainerin aus. „Bei Pure Motion Kurse zu geben, macht mir total Spaß“, freut
Alina sich, „über das Kieler Studio habe ich auch meine ersten Kund*innen gefunden.“
Was mit kleinen Aufträgen für Pole-Kolleg*innen begann, entwickelte sich schnell zu
einem erfolgreichen One-Woman-Business. Alina ist Schneiderin, Designerin und
Geschäftsführerin zugleich — und genau so soll es auch bleiben. Andere für sich arbeiten
zu lassen, könnte sie sich nicht vorstellen: „Ich möchte ganz persönlich hinter jedem
Fierce-AF-Design stehen, hinter jeder Naht. Natürlich ließen sich die Einnahmen mit
einem größeren Team steigern, doch darum geht es mir nicht.“ Die Designerin erzählt,
dass es für sie nur darauf ankäme, einen erfüllenden Beruf auszuüben und davon mit
ihrem Mann und ihren zwei Kindern gut leben zu können.

Dass Fierce AF Design Alina genau diesen Wunsch erfüllen würde, hätte sie zu Beginn
des Jahres noch nicht vermutet. Sie stellte sich darauf ein, zunächst bei „Plus-Minus-
Null“ rauszukommen. Aber die Nachfrage nach ihrer maßgeschneiderten Pole-Mode ist
groß. „Das liegt vor allem daran, dass diese in Deutschland nur eine Handvoll
Designer*innen anbieten“, behauptet die Schneiderin. Doch die hohe Qualität ihrer
Arbeiten lässt anderes vermuten.
Ob Trainings-Outfits oder aufwendige Kostüme für Auftritte — bei der Bearbeitung ihrer
Bestellungen legt die Frau hinter Fierce AF Design vor allem Wert auf Funktionalität und
Professionalität. Von der Auswahl der Stoffe, über die Verarbeitung bis hin zum Vertrieb
über den Online-Shop basiert Alinas Arbeit auf sorgfältiger Konzeption sowie
detailgenauer Umsetzung.
Wie viel Mühe in jedem Kostüm vernäht ist, scheinen die Fierce-Kund*innen deutlich zu
erkennen. Oft kommen mehr Bestellungen, als Alina zeitgleich annehmen kann. Und sind
die Pakete erst rausgeschickt, trudeln kurze Zeit später erste Fotos von glücklichen
Tänzer*innen im Instagram-Postfach ein. „Wenn ich diese Bilder sehe, die meine Designs
in Aktion zeigen, kann ich es manchmal gar nicht fassen, dass ich diese Kostüme selbst
gefertigt habe — aus nichts als einem Stück Stoff.“